Weihnachtliche Zugfahrt durch Amerika

Zu Weihnachten muss der Journalist Tom Langdon von Washington nach Los Angeles zu seiner Freundin fahren. Von der Ostküste zur Westküste. Ein Mal quer durch Amerika – mit dem Zug. Eigentlich berzugt er das Fliegen, doch wegen eines Missverständnisses darf er das nicht und so beschließt er, den letzten Wunsch seines Vaters zu erfüllen und sich auf seine Wurzeln zu besinnen. Er ist nämlich mit Mark Twain verwandt, der offenbar gern und viel mit dem Zug reiste. Tom hofft, auf der Fahrt interessante Menschen kennenzulernen, um darüber schreiben zu können. Dass die Fahrt allerdings so aufregend wird, hätte er nicht erwartet …

Der Capitol Limited – Von Washington, D.C. nach Chicago

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Los geht es in Washington. Von der Union Station aus fährt Tom mit dem Capitol Limited nach Chicago. 17 Stunden und 40 Minuten dauert dieser erste – und kürzere – Streckenabschnitt. Auf der Fahrt lernt Tom die unterschiedlichsten Menschen und ihre Geschichten kennen – und findet so am Ende zu sich selbst.

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Als erstes lernt Tom die Zugbegleiterin Regina kennen. Diese weist ihm sein Abteil zu. Aufgrund der Länge der Fahrt ist der Cap natürlich auch mit privaten Schlafabteilen inklusive Toilette und Dusche ausgestattet. „Einige Züge sind wild und temperamentvoll, andere sind versöhnlicher, nachgiebiger. Es ist beinahe so, als hätte man eine Beziehung zu ihnen“ (S. 45).

Auf dem Weg zu seinem Abteil stößt Tom mit Agnes Joe zusammen. Die etwas rüde Agnes Joe ist nicht nur den Zugbegleitern sondern auch sämtlichen Mitfahrern bereits bekannt, sie scheint jedes Jahr zu Weihnachten mit dem Cap zu fahren. Trotz ihrer Bekanntheit umgibt sie etwas Geheimnisvolles. „Oh, ich liebe den Zug und die Menschen darin. Es sind gute, anständige Leute. Ich habe es einige Zeit lang mit dem Fliegen versucht. Ich habe sogar eine Pilotenlizenz für Zivilflugzeuge, aber ich ziehe die Eisenbahn vor“ (S. 106).

Durch den Film Der unsichtbare Dritte mit Cary Grant und Eva Maria Saint ist Tom auf ein luxuriöses Schlafabteil mit diversen Annehmlichkeiten vorbereitet – und dementsprechend enttäuscht, als er seine enge Kabine mit Winztoilette betritt. Dafür stehen für die Mahlzeiten der Speisewagen oder der Salon zur Verfügung, der ganze Zug ist festlich, sogar mit einem Adventskranz, geschmückt.

Um der Enge seines Abteiles zu entfliehen, begibt sich Tom auf die Suche nach Unterhaltung. Er trifft auf Father Paul Kelly, der auf dem Weg zu seiner Familie ist und wie Tom in Chicago in den Southwest Chief umsteigen wird. Ihm erzählt Tom, dass er einen Bericht über die Zugfahrt schreiben wil. „Da haben Sie sich genau das richtige Thema ausgesucht. Ich bin im Laufe meines Lebens mit unzähligen Zügen gefahren und muss sagen, dass Eisenbahnen stets voller Überraschungen stecken“ (S. 57).

Im Gang stolpert er fast wörtlich über Steve und Julie. Die beiden sind zusammen durchgebrannt und wollen gegen den Willen ihrer Eltern heiraten – natürlich im Zug. Tom verspricht, der Feierlichkeit als Gast beizuwohnen. Noch ahnt er nicht, welche Roller er bei der Hochzeit wirklich spielen wird.

Als Nächstes begegnet Tom Tyrone, dem Salonwagenkellner mit der Elvis-Tolle. Wie Regina bereits angekündigt hatte, hat Tyrone, der bereits seit 7 Jahren mit dem Cap fährt, schon einiges erlebt. „Ich habe Sachen erlebt – o Mann! Sobald die Leute in ’nem Zug sitzen, ist es so, als würden sie sämtliche Hemmungen ablegen“ (S. 68).

Nach einem kurzem Abstecher in sein Abteil lernt Tom dann auch endlich die Filmleute kennen, die mit einer Limousine in Washington vorgefahren sind. Den Regisseur Max Powers, seinen Assistent Kristobal und seine Drehbuchschreiberin Eleanor. Eleanor, die Tom noch von früher kennt und die sich nicht gerade im Guten von ihm getrennt hat …

Auch Max Powers will eine Geschichte über das Zugfahren schreiben, also engagiert er kurzerhand Tom. Das Filmprojekt soll eine Mischung aus Krimi und Komödie werden. „Es gab nicht den gringsten Zweifel, dass Eleanor von den genialen Einfällen des Starregisseurs alles andere als begeistert war“ (S. 88).

Washington - ChicagoDer Zusammenprall mit etwas auf den Schienen verzögert die Weiterfahrt des Cap, so kommt Tom auch mit anderen Mitfahrern ins Gespräch, die aus den verschiedensten Gründen mit dem Zug fahren. Manche fahren Zug, weil sie das Fliegen nicht mögen oder die Verbindungen nicht passen, andere verbinden mit dem Zugfahren viele Kindheitserinnerungen.

Der Southwest Chief – Von Chicago nach Los Angeles

Es ist eine wunderschöne Strecke mit herrlichem Blick auf die Berge und die Prärie. Auf dem Weg zur Küste geht es durch insgesamt acht Bundesstaaten.“ (S. 119)

Chicago_union_station_hallSpätestens mit dem Zugwechsel in Chicago entwickelt sich auch Das Geschenk, eine bisher eher ruhige und weihnachtlich besinnliche Geschichte, zu einer Mischung aus Krimi , Action und Komödie. Regina wird von ihrer Mutter Roxanne abgelöst, die nicht nur selbst über ein enormes Organ verfügt, sondern auch noch einen Knabenchor leitet, der während der langen Zugfahrt von über 40 Stunden einige Male für Unterhaltung und die nötige Ablenkung sorgt.

Amtrak_Southwest_Chief_in_Mojave_DesertNeben dem Dieb, der schon im Cap sein Unwesen getrieben hat, sorgen nun auch Lelia, Toms überraschend zugestiegene Freundin, und ein Schneesturm für Chaos. Dabei sind sich Eleanor und Tom über Umwege – sie sollen die Trauzeugen bei Steves und Julies Hochzeit sein – gerade wieder näher gekommen.

Als das Schneetreiben immer mehr zunimmt und der Zug schließlich wegen einer Lawine irgendwo im Nirgendwo feststeckt, rücken alle Passagiere noch enger zusammen, Roxanne organisiert einen weihnachtlichen Chorauftritt ihrer Jungs und alle Passagiere spenden ihre Geschenke, um den Kindern einen schönen Weihnachtsabend zu bescheren.

Chicago - Los AngelesWelcher der Mitfahrer sich letztendlich als Dieb entpuppt, wie eine Lawine dazu führt, dass Tom seine Skier auspacken muss und wie es mit Eleanor und Tom weitergeht, müsst ihr schon selbst nachlesen.

Das Geschenk glänzt neben seiner besinnlichen Stimmung vor allem durch viele Filmanspielungen, hauptsächlich auf Der unsichtbare Dritte, und Details aus dem Leben Mark Twains, auf den sich Tom Langdon immer wieder bezieht. Auf zwei Zeitebenen wird Toms Leben, vor allem anhand seiner Beziehung zu Eleanor, nacherzählt. Immer wieder eingeblendete Rückgriffe auf ihr gemeinsames Leben als Krisenjournalisten beleuchten seine berufliche Vergangenheit sowie die Gründe ihrer Trennung.
Mir hat der erste Streckenabschnitt besser gefallen. Hier stehen noch die Menschen, ihre Beweggründe, die lange Reise mit dem Zug zu unternehmen und eine gewisse Eisenbahnromantik im Vordergrund, während es auf dem zweiten Streckenabschnitt actionreicher zugeht, wobei die beiden Erzählstränge Dieb und Schneesturm sehr konstruiert wirken, zu kurz erzählt und schnell abgehandelt werden.

Auch einige sehr platte Ausdrücke, so wird Tyrone, der schwarze Salonwagenkellner, als „Ebenholzversion“ von Elvis bezeichnet, trüben das Lesevergnügen, manche Dialoge wirken aufgesetzt locker und lustig, bewirken somit aber den gegenteiligen Effekt.

Trotzdem, vielleicht, weil Weihnachten ist und ich das Buch in der Weihnachtszeit in einem Zug gelesen habe, vergebe ich 4 von 5 Sonnen ☼☼☼☼

Mich würde diese Reise gerade wegen ihrer Länge und der abwechslungsreichen Gegend, die der Zug durchfährt, ja sehr reizen. Wie steht es da mit euch? Bevorzugt ihr den schnelleren Flug oder würdet ihr mir Gesellschaft leisten? 🙂

Route

Ich wünsche euch einen schönen 3. Advent!
Mandy